Amtsgericht Krefeld

21 Cs 8 Js 937/95 -21 -14/96 –

Rechtskräftig seit dem.31.12. in Verbindung mit Beschluß de OberLandesgerichts Düsseldorf vom 30. Dezember 1996 Krefeld, 14. Februar 1997 BÖßen, Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts

Amtsgericht Krefeld

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In der Strafsache gegen

den Dr. Hans-Ulrich Hofs, geb. am 10.12.1951 in Eschwege, deutsch, verheiratet, wohnhaft Buschstr. 149 in 47800 Krefeld,

wegen Volksverhetzung

hat das Amtsgericht Krefeld

in der Hauptverhandlung vom 26.08.1996,

an der teilgenommen haben:

Richter Schwenzer als Richter,

Oberstaatsanwältin Huth

als Beamtin der Staatsanwaltschaft

Rechtsanwalt Schmidt-Lonhart als Verteidiger

Justizobersekretär Fettweis

als Urkundsbeamter der Geschäftstelle

für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen Volksverhetzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je DM 80,- kostenpflichtig verurteilt.

angew. Vorschriften: §§130 StGB

Gründe

Der bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 44 Jahre alte Angeklagte lebt in geordneten Verhältnissen und für mit ihm und seiner Ehefrau zusammenlebende drei Kinder den Unterhalt zu tragen.

Seine Einkornmensverhältnisse entsprechen seiner Beschäftigung als angestellter Naturwissenschaftler. Der Angeklagte hat ein Flugblatt verfaßt und mit seinem Namen.als von ihm verantwortet gekennzeichnet, das u.a. folgende Formulierungen aufweist: „Benehmen sich so Gäste?” „Terror von Türken an Deutschen” „Ethnische Säuberung an Deutschen in Deutschland?” „Türkisches Rollkommando mit Taxis zum Einsatz” und „Darf die Polizei nicht helfen? – Die Presse schweigt!”. In dieser Schrift stellt der Angeklagte einen Vorfall vom 19. August 1995 in einem Krefelder Haus dar, in dem es zu Auseinandersetzungen zwischen den Hausbewohnern gekommen war, die unterschiedliche Nationalitäten aufweisen. Dieses Flugblatt verteilte der Angeklagte zu unterschiedlichen Gelegenheiten.

Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der den objektiven Tatbestand einräumenden Einlassung des Angeklagten und aufgrund der Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung. Er erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß Â§ 130 StGB, die nicht verfassungswidrig ist, und ist auch nicht durch Notwehr oder Notstand gemäß Â§Â§32-35 StGB gerechtfertigt oder entschuldigt. Ebenso konnte der Angeklagte über die Strafbarkeit seines Tuns nicht im Irrtum sein (§§ 16,17 StGB). Durch die Ahndung des feststehenden Sachverhalts wird der Angeklagte auch nicht in seinem grundrechtlich geschützen Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) verletzt.

Das Gericht ist mit der überwiegenden Meinung in der Literatur zu der in der veröffentlichten Rechtsprechung noch nicht behandelten Vorschrift des § 130 StGB n.F. der Auffassung, daß die Vorschrift des § 130 Abs. 1 Ziffer 1 eng auszulegen ist. Während im alten Tatbestand ein Angriff auf die Menschenwürde enthalten war,

fehlt diese Einschränkung jetzt, obwohl der Gesetzgeber eine Ausdehnung der Strafbarkeit nicht angestrebt hat. Auch in enger Auslegung der Vorschrift ist der objektive Tatbestand aber erfüllt.

Das von dem Angeklagten hergestellte und in mindestens zwei Fällen auch vertriebene Flugblatt, ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Es kommt dabei nicht darauf an, ob dieser Erfolg tatsächlich eingetreten ist. Es reicht, daß das Flugblatt dazu konkret geeignet war. Das ist gegeben, denn der Inhalt des Flugblatts kann beim – hier vorauszusetzenden – unkritischen Leser das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttern und das psychische Klima aufhetzen.

Auch ist das Flugblatt geeignet, zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln. Es wendet sich in der Gesamtheit seiner Formulierungen zwar nicht gegen alle in der Bundesrepublik Deutschland sich aufhaltenden Ausländer, auch nicht gegen alle Mitbürger türkischer Herkunft oder Nationalität. Seine Aufmachung und die Überschriften belegen aber, daß es genau dies, nämlich die mehr als bloße Ablehnung von Ausländem, insbesondere Türken, in Deutschland trotz einiger mildernden Formulierungen letzlich doch bezweckt. Die Formulierungen vom „türkischen Rollkommando” und dem „Terror von Türken an Deutschen” sind, vor allem zusammen mit dem Vorwurf der „Ethnischen Säuberung an Deutschen in Deutschland” haßerfüllt und bezwecken, diesen Haß auch in anderen anzustacheln.

Der Begriff des „Aufstachelns zum Haß” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der dahin zu verstehen ist, daß auf emotionaler Ebene zu einer gesteigerten feindseligen Haltung angereizt wird. Haß will dabei – als direkte Verneinung des andern -mindestens dessen Entfernung, wenn nicht seine Vernichtung. Haß ist dabei in der Regel die Antwort auf eine Bedrohung der eigenen Person, sei sie real oder vermeintlich. Charakteristisch für den im Extremfall wütend Hassenden ist dabei die

Blindheit für vergleichendes Sehen und Werten. Gerade dies ergibt sich aus der reißerischen – und über den Stil einer Boulevardzeitung weit hinausgehenden -Darstellung der Vorfälle im Hause Kaiserstr. in Krefeld, die Auslöser des Flugblattes gewesen sein mögen. Sie sind blind für die sich aus unterschiedlichen Perspektiven durchaus unterschiedlich darstellenden Verursachungsanteile an dieser Auseinandersetzung. Dies allein kann die Schwelle der Strafbarkeit jedoch noch nicht erreichen. Sie ist aber erreicht, weil mit Hilfe dieser Darstellung das Gefühl der Feindseligkeit gegenüber den Betroffenen, den angeblich aggressiven „Türken” hervorgerufen werden soll und hervorgerufen werden kann.

Völlig überzogen ist weiterhin der Vorwurf der „ethnischen Säuberung”, ein Begriff, der auch wegen der mit völkischem Rassenwahn mehr als verseuchten Geschichte unseres Landes zu überschäumenden Reaktionen aufreizen kann, in denen auch für Leib und Leben derjenigen zu fürchten ist, gegen die sich die Abwehrreaktion der vermeintlichen Bedrohung richten soll.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Bedeutung der Vorwürfe gegenüber der angeblich schweigenden oder untätigen Presse und Polizei. Hass ist, wie dargelegt, die Reaktion des sich vermeintlich oder tatsächlich als bedroht und gefährdet Erfahrenden. Diese angebliche Bedrohung steigert sich für den, der im eigenen Land der angeblichen Untätigkeit der zu seinem Schutz tätigen Polizei und Medien zusehen muß umso mehr. So ist die Kritik an vermeintlich wegen der „political correctness” zur Untätigkeit gezwungenen Polizei und Presse für sich nicht angreifbar und im Zuge einer demokratischen Debatte womöglich richtig oder falsch, jedenfalls nicht tatbestandsmäßig. Sie unterstützt aber durch die Steigerung der als Bedrohung empfundenen Situation des „den Türken” anscheinend wehrlos ausgesetzten Bürgers dessen Empfindung von Bedrohung und reizt damit zur Gegenreaktion, eben dem Hass, umso mehr an.

Nach dem Gesagten ergibt sich daher, daß es insbesondere die Formulierungen vom „Terror der Türken an Deutschen” des „türkischen Rollkommandos im Taxi” und vor allem der „ethnischen Säuberung an Deutschen in Deutschland” sind, die den Tatbestand des § 130 StGB erfüllen. Andere Formulierungen – wie die, daß es zu Recht verboten ist, Gewalt an Ausländern zu üben, daß man seitens der Flugbalttverfasser nicht alle Ausländer über einen Leisten sclilage und daß die Frage gestellt wird, ob es sich um einen Einzelfall handle – sind dagegen eher geeignet, die Reaktion auf das Flugblatt abzumildern tragen dalier dazu bei, den Tatbestand durch das Flugblatt insgesamt nur am unteren Rand der Tatbestandsmäßigkeit erfüllt zu sehen.

Das Gericht vermag der Angabe des Angeklagten, sein Ziel sei es gewesen, mäßigend auf die Auseinandersetzung im Haus Kaiserstraße einzuwirken, nicht zu folgen. Wer Auseinandersetzungen schlichten will und „Öl auf die Wogen” gießen will, der sucht den Dialog mit den Betroffenen, auch gegebenfalls den Schutz des Schwächeren – er schürt aber nicht eine feindselige „Wagenburgmentalität” der dem angeblichen „Terror” von behaupteten Rollkommandos und mit nichts belegten vorgeblichen „ethnischen Säuberungen” ausgesetzten harmlosen „Opfer”. Genau dies ist aber das Ziel des Flugblatts. Dalier ist das Gericht auch von dem Vorsatz des Angklagten überzeugt, mindestens hat er diese Konsequenz billigend in Kauf genommen.

Durch § 130 StGB werden weder abstrakt, noch in der hier zugrundegelegten Auslegung konkret die Rechte des Angeklagten insbesondere der Meinungsfreiheit unzulässig beschränkt. § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht verfassungswidrig, wenn die Norm auch für eine Strafrechtsnorm erstaunlich unbestimmt ist.

Auf der Ebene der Auslegung der Norm sind gegeneinander abzuwägen die Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und die Bedeutung des von § 130 StGB geschützten Rechtsguts (vgl. BVerfG, NJW 1995, S. 3303, 3305), nämlich der Rechtsfriede und die Rechtsordnung als dessen Voraussetzung. In der hier zugrunde zu legenden engen Auslegung schränkt § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Meinungsfreiheit nur in zulässiger Weise ein, weil der Einschränkung dieses Grundrechts das Erfordernis der Verteidigung des „öffentlichen Friedens” gegenübersteht. Ohne die auch strafrechtliche Verteidigung dieses hohen Rechtsguts wäre auch die Basis einer Meinungsfreiheit in Gefahr. Nichts anderes ergibt sich auch bei der konkreten Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im vorliegenden Fall. Niemand bestreitet dem Angeklagten das Recht seine Meinung, mag sie auch schwer verständlich oder nach Auffassung anderer unvernünftig sein, deutlich zu artikulieren. Niemand bestreitet ihm auch das Recht, angebliche Untätigkeit von Polizei und Presse anzugreifen oder seine Auffassung zu Gastrecht, Migration und Einwanderung usw. zu artikulieren. Das sind Auseinandersetzungen im politischen Bereich, darüber ist vor einem Strafgericht nicht zu rechten. Auch die einseitige Darstellung von Vorgängen in einem Haus in Krefeld ist dem Angeklagten nicht untersagt. Anders ist es jedoch dann, wenn – wie hier – mit überzogenen Formulierungen Feindseligkeit und ableimende Aggressionen hervorgerufen werden sollen. Auch insoweit ist zwar die Meinungsfreiheit des Angeklagten tangiert, sie ist nicht schrankenlos gewährt. Der Eingriff steht aber in-verhältnismäßiger Relation zu dem vom Angeklagten zu verantwortenden Eingriff in den Rechtsfrieden, den sein Flugblatt darstellt. Damit stehen verfassungsrechtliche Bedenken der strafrechtlichen Almdung des Tatbestands auch im vorliegenden, konkreten Fall nicht entgegen.

Dem Angeklagten war ein. Verbotsirrtum nicht vorsatzmildernd oder – ausschließend zugute zu halten. Mag auch der Angeklagte der Ansicht gewesen sein, seine Formulierungen überschritten den Bereich des strafrechtlich Zulässigen noch nicht, mag auch von anderen im Moment der Konfrontation mit dem Flugblatt die tatbestandsmäßige Volksverhetzung nicht sofort unmißverständlich erkannt worden sein, so ändert dies angesichts der oben getroffenen Feststellungen nichts daran, daß der Angeklagte Formulierungen gewählt hat, die in ihrer reißerischen und emotionalen Aggressivität zum Haß aufstacheln und dies dem Angeklagten auch bewußt sein mußte.

Ein unbestimmter Rechtsbegriff wie das „Aufstacheln zum Hass” ist nicht wie das Überfahren einer roten Ampel nur entweder gegeben oder nicht. Vielmehr sind erhebliche Differenzierungen gegeben, wobei im vorliegenden Fall die Ebene der strafrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit erreicht ist, aber – wie dargelegt – im unteren Bereich der Norm liegt.

Bei der Strafzumessung war zu berücksichtigen, daß der Angeklagte den Tatbestand am unteren Rand der Strafwürdigkeit erfüllt hat und daher und auch im Hinblick darauf, daß er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, die gesetzliche Mindeststrafe zu verhängen war.

( Schwenzer)