Ein deutsch-türkischer Nachbarschaftskrimi in Krefeld Die Öffentlichkeit wird „zensibilisiert”

Ein Mehrfamilienhaus in der Kaiserstraße in Krefeld am 19. August 1995, Samstag, später Nachmittag. In dem Haus wohnen Deutsche und eine türkische Familie. Einer der Türken will die Wasserversorgung vorübergehend stillegen.

Eine deutsche Nachbarin bittet höflich, dies ein wenig zu verschieben, damit ihr Mann noch fertig duschen könne. Die Antwort sind wüste Be-schipfungen. Sie gipfeln in „Nutte”, „Nazischwein” und der Drohung: „Kommt raus, wir hängen Euch auf!”.

Der nicht im Haus wohnende Sohn der deutschen Familie kommt hinzu und will schlichten. Dazu klingelt er bei der türkischen Familie. Die Reaktion: Er wird mit Fäusten und Knüppeln angegriffen, bekommt einen Schraubenzieher in den Bauch gerammt und bricht auf der Haustreppe zusammen. Sein Vater will ihm helfen. Er wird ebenso angegriffen. Eine klaffende Platzwunde am Hinterkopf, schwere Prellungen am Arm, ein gebrochener Finger und ein Stich mit dem Schraubenzieher in den Bauch sind die Folge. Vater und Sohn kommen zur Notversorgung mit dem Rettungswagen in die Städtischen Krankenanstalten und sind beide drei Wochen arbeitsunfähig.

Die deutschen Mitbewohner, meist ältere Menschen und verängstigt, trau-

en sich, nicht aus ihren Wohnungen. Vor dem Haus fahren mehrere Taxis mit einer größeren Anzahl Türken vor. Die Polizei trifft ebenfalls ein. Sie wird Zeuge der Drohungen gegen die deutsche Familie. Die Ehefrau und Mutter der böse zugerichteten Opfer: „Warum können uns die Türken nicht in Ruhe lassen’.'” Daraufhin ein Polizist, das solle man nicht sagen, das seien unsere Mitbürger, und sie, die Frau, sei eine Rassist in.

Sojedenfalls stellt sich der Tathergang in der Lesart von Dr. Hans-Ulrich Hofs, dem Initiator des „Krefelder Forums Freies Deutschland”, dar. Er hatte dazu ein Flugblatt verfaßt, das unter den Überschriften „Benehmen sich so Gäste?, ..Teno! von Türken an Deutschen”‘. „Ethnische Säuberungan Deutschen in Deutsehland?”. „Türkisches Rollkommando mit Taxis zum Einsatz” und „Darf die Polizei nicht helfen? – Die Presse schweigt!”, die Vorgängen in der Kaiserstraße wie oben zitiert schildert. Dieses Flugblatt wurde bei mehreren Gelegenheiten verteilt, zum Beispiel anläßlich einer Festveranstaltung der Unternehmerschaft Niederrhein und per Post.

Die offizielle Darstellung der Polizei lautete anders. In der Westdeutschen Zeitung Krefeld vom 26. Sep-

tember 1995 wurde der Krefelder Polizeipräsident Dieter Friedrich mit der Bemerkung zitiert, es habe sich um einen „Streit” in einem Mehrfamilienhaus gehandelt. Aus polizeilicher Sicht sei es ein Einsatz „zur heißen Jahreszeit” gewesen. Beide Seiten hätten ..kräftig mitgemischt”. Von einer einseitigen Schlägerei könne nicht die Rede sein. „Es war ein normalerStre.it, wo sich einige Leute nicht grün waren'”, sagte Friedrich. Einen Schraubenzieher, mit dem der Deutsche ..niedergestochen worden sein soll”, habe man nicht finden können. Jedoch habe ..jemand” Stichverletzungen davongetragen. ..Anschließend mußten alle ambulant behandelt werden.” So die wesentlich entschärfte Fassung des Polizeipräsidenten.

Ist sie glaubwürdig? Berichte und Leserreaktionen zu einer Vortragsveranstaltung mit dem Staatsekretär im Bundesinnenministerium Kurt Schelter in der Stadt, nachzulesen ebenfalls in der Westdeutschen Zeitung vom 6. Oktober 1995, wecken Zweifel. Für diese Veranstaltung hatte Hofs übrigens Hausverbot bekommen. Als Dis-kussionsbeitrag zum Thema Auslän-derkriminalität kam der Vorwurf, daß für 1994 die Zahl von 19 Deutschen getöteten Ausländern durch die Medi-

en liefe, dagegen die Zahl von 900 von Ausländern getöteter Deutscher unterschlagen werde. Scheiter erklärte dazu, daß ihm Zahlen nicht vorliegen würden. Daraufhin erklärte der Polizeipräsident Dietrich, daß es in Nordrhein-Wcslfalen tatsächlich eine Anweisung gebe, Delikte von Ausländern nur mit größter Sensibilität in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, um emotionale Aufregungen zu vermeiden. In Krefeld würde aber bereits ohnedies eine besondere „Sensibilisierung” dieser Themen praktiziert. Daraufhin gab es im Auditorium Proteste: Dies sei eindeutig eine Zensur, ein Verstoß gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit. Es fiel der Ausdruck von der „Zen-sibilisierung”! Hatte sich der Polizeipräsident gegenüber der Zeitung wenige Tage zuvor selbst „zensibilisiert”? Mit Datum vom 11. Januar 1996 hat die Krefelder Staatsanwal tschaft Hans-Ulrich Hofs einen Strafbefehl über 9.000 Mark zugestellt. Er habe sich in seinem Flugblatt mit dem Vorfall in der Kaiserstraße in einer Weise befaßt, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören” und „zum Haß gegen Teile der Bevölkerung” aufzustacheln. Konkret führte die Staatsanwaltschaft folende Passage an: „Wer schützt uns vor unseren ausländischen ‘Mit-

bürgern’? Die Polizei offensichtlich nicht. Darf sie nicht? Unsere (?) Politiker wollen die multikulturelle Gesellschaft! Die Presse schweigt! Deutsche als Opfer der Multikultur hat es nicht zu geben. Denn was nicht in der Zeitung steht und nicht im Fernsehen kommt, gibt es nicht. Das Gericht wird den Fall behandeln. Warten wir ab, ob man als Deutscher in Deutschland nocht recht erhält. Inzwischen wächst die Angst. Drohen uns amerikanische oder französische Verhältnisse? Am 19. August war es in der Kaiserstraße. Und morgen? Wehe (zu Recht!), wenn Deutsche Ausländer angreifen. Aber wenn Ausländer Deutsche angreifen, verletzen, am Ende gar umbringen? — Die Presse schweigTf”

Hofs “-hat “sich am 22. Januar rrtt einem offenen Brief an die Staatsanwaltschaft gewandt. Darin konstatiert er, daß der Strafbefehl in keiner Weise seihe Schilderung des Tathergangs bestreite. Es gehe also darum, politisch unliebsame Äußerungen zu unterdrük-ken. Ziel seines Flublattes sei es gewesen, „die Öffentlichkeit an einem Beispiel vor der eigenen Haustür über Zustände zu informieren,über die man eigentlich nicht berichten darf … Wie die vielfältigen Reaktionen, einschließlich die der Staatsanwaltschaft, zeigen, ist dieses Ziel erreicht worden”.

Thomas Gabler