Trauer um den ermordeten Italiner Vittorio im Gazastreifen

Palästinenser und internationale Solidaritätsbewegung sind entsetzt über Mord an italienischem Friedensaktivisten

Von Karin Leukefeld
Dreißig Stunden hatten die Entführer den Behörden der Hamas im Gazastreifen gegeben, um ihre Forderungen zu erfüllen. Doch nur wenige Stunden, nachdem sie das Video mit Bildern ihrer geschundenen Geisel veröffentlicht hatten, wurde Vittorio Arrigoni tot aufgefunden. Zehn Jahre lang hatte sich dieser für Gerechtigkeit für die Palästinenser eingesetzt. Der italienische Aktivist der Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM) war am Donnerstag morgen in Gaza-Stadt entführt worden. Am späten Nachmittag tauchte ein Video im Internetportal Youtube auf. Darin zu sehen: Arrigonis Augen verklebt, sein rechtes Auge von Blut verschmiert. Eine Hand zieht den Kopf des Entführten an den Haaren hoch, so dass das Gesicht in die Kamera blickt. Die »Hanija-Regierung« müsse alle »unsere Gefangenen« freilassen, so die Forderung der Entführer, die sich als »Brigade des ritterlichen Kameraden des Propheten Mohammed Bin Muslima« zu erkennen gab, von der bis dahin noch nie jemand im Gazastreifen etwas gehört hatte. Sollte es diese Gruppe tatsächlich geben, wäre sie den Salafisten zuzuordnen, da ausdrücklich die Freilassung von salafistischen Gefangenen gefordert wurde. Unmittelbar nachdem das Video bekannt geworden war, durchsuchte die Polizei Wohnungen von Mitgliedern und Anhängern bekannter Salafistengruppen im Gazastreifen. Eine Person, die entweder an der Entführung beteiligt war oder davon gehört hatte, führte die Polizei am frühen Freitagmorgen in eine Wohnung im Norden des Gazastreifens, wo man Arrigoni erhängt auffand.
Ehab Al-Ghussein, Sprecher des Innenministeriums der Hamas, sagte, der Entführte sei offenbar kurz nach seiner Verschleppung schon »auf schreckliche Weise« getötet worden. Vermutlich sei das auch das Ziel gewesen, die Forderung nach Freilassung von Gefangenen könnte nur dazu gedient haben, Zeit zu gewinnen. Zwei Personen wurden festgenommen. In einer Erklärung der Hamas-Regierung wurde der Mord als »abscheuliches Verbrechen« verurteilt. Es widerspreche palästinensischen »Werten, der Religion, den Sitten und Gebräuchen«. Das Verbrechen sei von einer »kriminellen Gruppe« ausgeführt worden und Ausdruck »mentaler Verkommenheit«. Alle Palästinenser seien aufgerufen, an dem Beerdigungsmarsch teilzunehmen, um den Mord an dem Friedensaktivisten zurückzuweisen, hieß es in der Stellungnahme weiter. Alle Einwohner von Gaza hätten Arrigoni als Unterstützer der palästinensischen Sache gekannt.
Mitglieder der Internationalen Solidaritätsbewegung hatten den Toten am Freitag morgen identifiziert. Ein italienischer Arzt sollte den Leichnam obduzieren, um die genaue Todesursache festzustellen. ISM-Mitbegründerin Huweida Arraf zeigte sich in einer ersten Stellungnahme schockiert. »Es ist unglaublich«, sagte sie. »Er war mehr Palästinenser als die Kriminellen, die ihn ermordet haben.« In einer Stellungnahme der Free-Gaza-Bewegung heißt es: »Alle, die ihn kannten und liebten werden sich an diesen tapferen und humorvollen Mann erinnern, der jede Diskussion mit den Worten beendete ›Bleib menschlich‹. Seine Arbeit wird fortgesetzt, aber in unseren Herzen ist eine große Leere.«
Alle palästinensischen Parteien verurteilten den Mord an Vittorio Arrigoni. Fawzi Barhoum, Sprecher der Hamas in Gaza, hob die Arbeit aller Friedensaktivisten hervor, die dazu beitragen würden, »über das Leid und die Anliegen aller Palästinenser, insbesondere der in Gaza«, zu berichten. Der Mord solle den belagerten Küstenstreifen destabilisieren, das Ansehen der Palästinenser schädigen und Gaza von internationaler Unterstützung isolieren. Ein Sprecher des Islamischen Dschihad verurteilte das »groteske Verbrechen«. Es nutze der israelischen Besatzungsmacht, die ständig Hass gegen die Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern schüre. Die Palästinensische Volkspartei sprach von einem »moralischen und nationalen Verbrechen«. Mustafa Barghouti von der Palästinensischen Einheitsinitiative zeigte sich schockiert »von dem Verbrechen«, es diene den Interessen derer, die den Palästinensern gegenüber feindlich eingestellt seien.
Vittorio Arrigoni war vor knapp drei Jahren als ISM-Friedensaktivist in den Gazastreifen gekommen. An Bord eines Bootes der Free-Gaza-Bewegung war er 2008 dabei, als es erstmals nach Jahren gelang, die israelische Blockade zu durchbrechen und Hilfsgüter in den Hafen von Gaza zu bringen. Seitdem lebte er fast ständig dort. Er habe seine Familie und seine Heimat verlassen, »um mit den Palästinensern trotz aller Angriffe und trotz der Belagerung zu leben«, hieß es in einer Stellungnahme der Palästinensischen Volkspartei. In und für Palästina war er seit fast zehn Jahren aktiv. Er hatte sich schon oft in Gefahr begeben, eine Gefahr, der die Palästinenser täglich ins Auge sehen. Um über die harten Lebensbedingungen der Palästinenser und die Menschenrechtsverletzungen der israelischen Besatzungsmacht aufzuklären, berichtete Arrigoni für die italienische Tageszeitung il manifesto und das Onlineportal PeaceReporter. Während des israelischen Angriffs 2008/2009 war er im Gazastreifen, er begleitete Ambulanzen und berichtete als Augenzeuge für internationale Medien. Mehrfach wurde er wegen seiner Teilnahme am gewaltfreien palästinensischen Widerstand in der Westbank und im Gazastreifen von israelischen Sicherheitskräften verhaftet.
Der Mord soll offenbar zeigen, daß die Hamas-Regierung nicht in der Lage ist, im Gazastreifen für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Mitglieder der Internationalen Solidaritätsbewegung, die – sehr zum Unwillen der israelischen Besatzungsmacht – seit Jahren vor Ort aktiv sind, sollen eingeschüchtert und vertrieben werden. Derzeit wird eine neue Schiffsflotte vorbereitet, die mit Hilfsgütern die Blockade des Gazastreifens durchbrechen soll.(jW)

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